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Scheinbar mühelos ist ein Raster von Bleistiftlinien in regelmäßigen Abständen auf DIN-A4-Blätter gezeichnet. Was auf den ersten Blick wie die gängige Quadratur eines Rechenblattes wirkt, offenbart bei Nahsicht feinste Abweichungen: Die Linien „pulsieren“ im Verlauf, an den Blatträndern gibt es variierende Ausschnitte der Rechtecke. Erst jetzt verliert der voreingenommene Vergleich mit der wohlbekannten Normvorlage an Bedeutung und man erahnt die hohe Konzentration von Jürgen Krause bei der Fertigung der Handzeichnungen. Ein Stehpult anstelle eines Schreibtischs gibt ihm die größtmögliche Beweglichkeit des Körpers beim Durchziehen der Linien.

 

Den Grundierungen wohnt das gleiche Spannungsverhältnis aus scheinbarer Beiläufigkeit und aufwendigem Tun inne. Der unermessliche Zeitraum ihrer Entstehung, der sich durch eine Vielzahl immer weiter verdünnter Leimgrundierungen zeitlich dokumentiert und im wörtlichen Sinn Gewicht verleiht, ist in den blockhaften Objekten als Sedimentschichten erkennbar. Die unregelmäßigen Grate verunklären zugleich die formale Präzision der flachen, weißen Raumkörper und verleihen ihnen eine federleichte Anmutung.

 

Im Fokus von Krauses Werk stehen Praktiken, die gemeinhin den als schöpferisch verstandenenen Arbeitsschritten vorausgehen. Den Tätigkeiten selbst und ihrer täglichen Abfolge liegt dabei eine innere Logik des „Nicht-Benutzens“ zugrunde: Die Handzeichnungen lassen durch das engmaschige Raster der Linien einen weiteren Gebrauch der Blätter offen, ebenso wie die blockhaften Leimgründe eine klassische Verwendung als Grundlagen von Silberstiftzeichnungen ad absurdum führen. Ist ein Werk nach Tagen, Wochen oder Monaten abgeschlossen, beginnen die „Exerzitien“ von vorne. In dieser Absage an Zielgerichtetheit künstlerischer Praktiken liegt ein Schlüssel zum Verständnis seiner Werke. Die vermeintliche Vorstufe des Schaffens genügt sich selbst; in ihr perfektioniert Jürgen Krause die Mühelosigkeit als Meisterschaft und rekurriert so auf die elementaren Grundlagen der Zeichenkunst. Der vorausgegangenen intellektuellen Gedankenspiele, der Theorie eines geistig-schöpferischen Konzepts - jenes vom Bild im Kopf des Künstlers - wird der Betrachter kaum gewahr. Lediglich in den feinsten Unregelmäßigkeiten scheint die kraftvoll-fließende Arbeit des Künstlers gleich einer Handschrift auf.

 

 

Erschienen im Ausstellungskatalog „Disegno - Zeichenkunst für das 21. Jahrhundert“, Kupferstichkabinett Dresden, 2015


A grid of pencil lines drawn with apparent ease is aligned at regular intervals on DIN A4 paper. What at first glance seems to be the ordinary grid on a sheet of graph paper reveals the subtlest differences on closer inspection: the lines „pulsate“ as they flow, the rectangles along the page edges vary in width. Only now does the involuntary comparison with the well-known standard template recede into the background, and we sense Jürgen Krause`s high level of concentration when producing his Handzeichnungen („Freehand Drawings“). Standing at a lactern instead of sitting at a desk makes for maximum physical mobility while drawing these lines.

 

A similarly charged relationship between apparent casualness and complex work process is also inherent in his Grundierungen („Primings“). The immeasurable period of their genesis – documented in timeby a multiplicity of increasingly attenuated glue undercoats, which literally lend weight – is recognisable in the block-like objects as sediment layers.

Irregular ridges simultaneously blur the formal precison of the flat, white 3D objects while landing them a featherleight appearance.

 

Practices usually preceding work steps that are understood as creative, are the focus of Krause`s work. Here, the activities themselves and their daily progression are underpinned by an internal logic of „non-use“: thanks to their close-meshed grid of lines, the hand drawings don`t permit a further use for the sheets of paper, just as the block-like glue undercoats are put ad absurdum to classic use as the basis of silverpoint drawings. Once a work is concluded after days, weeks or months, the exercises start afresh. A key to understanding his work lies in his rejection of the goal-orientated nature of artistic practises. The supposed preliminary stage of creation is sufficient in itself; in doing so, Jürgen Krause perfects effortlessness as mastery, thereby returning to the elementary principles of draughtsmanship. These preceding intellectuel mind games – that is the intellectually-creative theory of the image in the artist`s head – go almost unremarked by the viewer. Like a signature, the vigorous work of the artist can only be detected in the most subtle irregularities.

 

 

Translation: Debbie Nicol / Lucinda Rennison

 

Published in the exhibition catalogue „Disegno - Zeichenkunst für das 21. Jahrhundert“, Kupferstichkabinett Dresden, 2015