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Der Tag beginnt so: Jürgen Krause schärft sorgfältig Bildhauerwerkzeuge und Messer. Wenn sie ihre optimale Schnittfähigkeit erreicht haben, zieht er sie über den gröbsten Schleifstein und der Vorgang beginnt von Neuem. Das Vorbereiten des Werkzeugs, in dem das Werkzeug nach und nach verschwindet, wird zum Werk. Der unbrauchbare Messerstumpf, den Krause ausstellt, enthält die Zeit als Handlung. So behandelt er auch Bleistifte. Mit einem Messer schält er ihren hölzernen Körper ab, bis nur das schlanke Skelett der Mine zurückbleibt. Zugleich gebraucht er die Werkzeuge ebenso für ihre ursprünglichen Zwecke. Mit dem Messer spitzt er den Bleistift, mit dem er freihändig horizontale und vertikale Linien auf DIN A 4 Blätter zeichnet, ein Atemzug, eine Linie, jede Linie eine Zeichnung, zusammen ein kariertes Blatt, das so scheint, als warte es noch auf seine Benutzung.
Neben der zeichnerischen gibt es die malerische Tätigkeit, wenn Krause mit einem Pinsel über Monate abwechselnd Kreidegrund auf beide Seiten eines Papiers aufträgt, bis ein plastisches Objekt, eine verselbstständigte Grundierung ohne Bild gewachsen ist. Oder er schneidet mit einem Skalpell kleine kreisrunde Löcher in ein weißes Papier und wirft dann die herausgelösten Scheibchen als flüchtiges Konfetti zu besonderen Anlässen in die Luft. Die akkurat zerlöcherten Papiere, fragile Gitter, bleiben zurück und werden als Ergebnisse des Übens archiviert.
Grundieren, schleifen, schneiden, Linien ziehen - die Arbeit von Jürgen Krause scheint in einer Wiederholung vor dem Beginn der Arbeit zu kreisen, im Vorbereiten auf der Stelle zu treten, doch der Künstler sieht sich mit jedem Schritt angekommen. Er übt sich ein ins Beginnen. Seine Arbeit orientiert sich nicht am abgeschlossenen erreichbaren Ziel, sondern ist tägliches diszipliniertes Üben, um in der Handlung aufzugehen, mit der fließenden Zeit zu verschmelzen, Klarheit zu gewinnen. Das gleichmäßige Tun sichert vor der Verworrenheit der Welt.
Erschienen im Ausstellungskatalog „Echtzeit - die Kunst der Langsamkeit“, Kunstmuseum Bonn, 2016
The day begins like this: Jürgen Krause carefully whets his sculpting tools and knives. Once they have reached their optimal cutting efficiency, he draws them across the roughest grindstone and the process begins all over again. The preparation of the tool, during which the tool gradually disappears, becomes the work. The useless knive stump that Krause displays bears time as an inherent action. He also treats pencils in this manner. Using a knife, he shaves their wooden bodies down to the point, where only the slender skeleton of the lead remains. At the same time, he uses the tools for their original purposes too. With the knife, he sharpens the pencil with which he draws horizontal and vertical lines freehand on sheets of A4 paper, a breath of air, a line, each line a drawing, altogether a chaquered page that looks as if it were still waiting to be used.
In addition to the drawing activity, there is the painting, in which Krause takes a brush and applies a chalk ground alternately to both sides of the paper over a period of months, until a sculptural object, an individualized grounding, has grown without an image. Or he takes a scalpel and cuts small round circles in white paper and then casts the cut-out discs into the air on special occasions as if they were fleeting confetti. What remains are the accurately cut-out papers, fragile lattices, which are then archived as a result of the exercises.
Grounding, whetting, cutting, drawing lines – Jürgen Krause`s work seems to center on repetition before the work even begins, like marking time during the preparation, and yet, with each step the artist feels he has arrived at what he wants to achieve. He practices beginning. His work is not oriented to a completed, achievable goal but consists of daily, disciplined training in order to become one with the action, to enter into the flow of time, and to gain clarity. The even and constant action is what protects against the muddle of the world.
Translation: George Frederick Takis / Liz Volk
Published in the exhibition catalogue „Echtzeit - die Kunst der Langsamkeit“, Kunstmuseum Bonn, 2016